Die
Deutschsprachige Gesellschaft für
Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks (DGPA)
trauert um Prof. Dr. med. Manfred P. Heuser.

Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht's Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will.

Johann Wolfgang Goethe

Die Deutschsprachige Gesellschaft
für Kunst & Psychopathologie des Ausdrucks e.V.

nimmt Abschied von ihrem Ehrenpräsidenten

Prof. Dr. med. Manfred P. Heuser (geb. 31.10.1939, gest. 19.6.2024)

Sie dankt für seinen Jahrzehnte langen und unermüdlichen Einsatz. Sein umfangreiches Wissen und sein scharfsinniger Geist haben die Gesellschaft maßgeblich geprägt. Die Gesellschaft wird ihm im Namen aller Mitglieder ein ehrendes Andenken bewahren.

PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger
Uni.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Hans-Peter Kapfhammer
Dr. med. Axel-Uwe Walther
Erik Boehlke
Univ.-Prof. Dr. H. Hinterhuber
Prof. Dr. med. Dr. phil. Paul Hoff
Prof. Flora Gräfin von Spreti
Dr. phil. Ulrich Kobbé

TRAUERREDEN

von Hartmann Hinterhuber

Liebe Vera
Liebe Katharina
Sehr geehrte Familien Heuser und von Bechtoldsheim

Werte Trauergemeinde

Wir gedenken in Wertschätzung und Dankbarkeit eines ganz besonderen Menschen, eines höchst begabten und engagierten Neurologen und Psychiaters, eines profunden Psychopathologen und Kenners der Kunst von Außenseitern und psychisch Kranken.

Wir verabschieden uns von einem um das Wohl seiner Familie bedachten und auch um das Wohlergehen von sehr vielen Menschen mit psychischen Schwierigkeiten engagierten Persönlichkeit.

Wir trauern um einen großen Menschenfreund und Humanisten. Manfreds Denken und Handeln war in der Tat geprägt vom Bewusstsein der Würde des Menschen, von Mitmenschlichkeit, von Solidarität, sowie von Achtung und Respekt gegenüber den Ansprüchen des Nächsten. Diese seine humanistische Lebensphilosophie gestaltete seine Beziehung zur Umwelt und zu seinen Patienten.

Das Wort „Humanismus“ leitet sich nicht nur von „Humanus“, dem „Menschlichen“ ab, sondern auch von „Humus“, dem Erdboden: Manfred war in der Tat im besten Sinne des Wortes erdverbunden und pflegte konsequent und bewusst seine Verbundenheit mit der fränkischen Heimat.

Etymologisch besteht noch eine Brücke zwischen Humanismus und Humor:
Manfred begegnete den Unzulänglichkeiten der Welt und der Menschen mit heiterer Gelassenheit und bewältigte viele anstehende Probleme mit einem Schuss Humor. Der Humor richtete sich, wie wir ihn bei Manfred kannten, nie gegen andere Menschen. Er vermittelte immer Hoffnung und verlor sich nie in Ironie oder gar in Spott oder Zynismus.

Darüber hinaus zeichnete Manfred auch Bescheidenheit und Demut aus, deren Bezeichnung im Lateinischen wiederum “humilis“ lautet. „Humilitas“ bedeutet aber auch das Anerkennen einer höheren Macht, die dem Einzelnen Würde und Wert vermittelt. - In diesem Sinne erinnerte er sich auch gern an den aus dem Jahr 1604 stammenden Wahlspruch „Gott allein die Ehr“, der an seinem Geburtshaus eingemeißelt ist.

Die Pflege der Gedenk- und Gedächtniskultur war Manfred stets ein Anliegen. Sie ist begründet in in seinem historischen Denken. Bereits vor zehn Jahren teilte er mir mit, dass er sich mit der Errichtung eines Epitaphs, einer Gedächtnisstele, beschäftige und zitierte dabei – wie so häufig - Johann Wolfgang von Goethe:
„Es soll die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehen“. Glücklich erzählte er mir, dass der Zufall es wollte, dass er sein eigenes Epitaph, eine Stele, entdeckte und nach einigem Zögern auch käuflich erwerben konnte. Glücklich schrieb er mir „... Warum das Epitaph nicht bei Lebzeiten selbst gestalten?... Die Stele oder Säule fordert Kraft und zeigt den Wunsch nach Überdauern, eine Mischung von Selbstbehauptung und Verlangen nach Ehre, vielleicht auch als ein Angebot an die Nachkommen?“

Meine vielen schönen Erinnerungen an Manfred Heuser beinhalten nicht nur philosophische und fachliche Gespräche, sondern enthalten auch Bilder von sportlichen Leistungen und Herausforderungen:
Im Zuge der psychiatrischen Winter-Symposien der psychiatrischen Kliniken von München, Wien und Innsbruck in Oberlech am Arlberg nutzten Manfred und ich die verbleibende Freizeit auch für Skitouren, bei denen Manfred mir haushoch überlegen war und mich in arge Bedrängnis brachte.
Die von ihm gewählte Route führte beispielsweise einmal zum „Muggengrat“, einem halsbrecherischen Steilhang, den ich nicht zu bestehen glaubte, während sich Manfred wedelnd mit Bravour in die Tiefe stürzte.<
Ich gelobte ihm, dass ich - sollte ich diesen Tag überstehen - ein Buch über die unsterbliche Seele schreiben werde: ich habe dieses Versprechen auch eingelöst!

Bei einem meiner letzten Besuche konnte ich Manfred noch meine Dankbarkeit ausdrücken. Seine offene und ehrliche Art, seine Tapferkeit in allen Lebenssituationen bleibt vielleicht nicht nur mir, sondern vielen von uns in steter Erinnerung. Sie stellt für mich und für viele eine Aufforderung dar, ihm nachzueifern.

In schweren Stunden finde ich die Worte von Dietrich Bonhoeffer trostreich, die er beim Abschied eines lieben Menschen sprach:
„Je schöner und voller die Erinnerung,
desto schwerer die Trennung.

Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in stille Freude. Man trägt das kostbare Schöne wie ein unzerstörbares Geschenk in sich.“

Lieber Manfred, ruhe in Frieden!

Lux perpetua luceat tibi!

Hartmann Hinterhuber

von Axel-Uwe Walther

Lieber Manfred,

heute hindert mich ein ärztlicher Spruch daran, gemeinsam mit allen Deinen Angehörigen und Freunden hier zu sein. So will ich Dir durch Freundes-Mund meinen Gruß und einige meiner Gedanken zurufen: Als würdiger Nachfolger von Graf Ottokar von Wittgenstein hast Du ab 1986 die DGPA souverän geführt und ihre Fackel in allen Zeiten hochgehalten. Besondere innere Bilder habe ich von der schönen „Gestalt-Tagung“ in München 1989 in der Kunstakademie und natürlich von der „Sehnsucht“ in Weimar 1992, wo Du in der Anna-Amalia Bibliothek alles wunderbar dirigiert hast, aber bei den Vorträgen nicht Platz nahmst, sondern stehen bliebst. Auf meine Frage nach dem Grund sagtest Du nur lächelnd: “Bandscheibenvorfall, nichts von Belang…“. Du hattest wahrlich Haltung und enorme innere Kraft. Als profunder Goethe-Kenner und -Verehrer hast Du diesen nicht nur zum Leitstern für Dein Leben erkoren, sondern aus Deiner enormen inneren Neugier heraus über das „Os Goethei“ oder auch das „foramen inzisivum“ publiziert. In diesen frühen Jahren wurdest Du mir ein echter Freund, der immer präsent und hilfreich, aber nie lästig wurde. Du warst ein großes Vorbild für mich. Als ein „hommes de lettres“ bewegtest Du Dich polyglott in der Welt, ihren Geheimnissen auf der Spur. Dein Leben lang hattest Du ein starkes Interesse an den Blinden, wolltest Dir vorstellen können, wie sie die Farben der Welt erleben. Nebenbei hast Du übrigens eine spannende Kasuistik über Hitlers kurze psychische Blindheit im 1. Weltkrieg geschrieben.

Aber in allen Deinen Lebensphasen warst Du dem weiblichen Geschlecht ergeben. Noch in fortgeschrittenen Jahren lerntest Du mit Katharina das Glück in einer kleinen Familie kennen und wurdest stolzer Vater Deiner Tochter Vera. So manche Krankheiten hast Du lange Zeit sehr sportlich genommen und trotz aller Last der DGPA sehr lange die Treue gehalten. Auch als das Reisen schwer, ja unmöglich wurde, nahmst Du im Gespräch regen Anteil oder freutest Dich über Berichte von einer gelungenen Tagung. Die Art und Weise, wie Du Deine Krankheit in den letzten Jahren getragen hast, niemals klagend, aber oft in einer Haltung, in der Dir ironische Distanz Kraft zur Verarbeitung gab, z.B. wenn du über Deine „Tropfsteinhöhle“ sprachst mit diesem wohlbekannten Lächeln um den Mund, all das habe ich immer bewundert.

Ich bin jetzt sehr traurig und doch froh, daß ich Dich am 9. Juni, am Tag vor meiner OP noch einmal besuchen und von Dir Abschied nehmen konnte. Wenn ich auf Dein so gelungenes Leben zurückschaue, vor dem ich mich hier verneigen möchte, fällt mir Rabindranath Tagore, der berühmte indische Dichter und Philosoph, ein:
„Ich schlief und träumte,
das Leben sei Freude.
Ich erwachte und sah,
das Leben war Pflicht.
Ich handelte und siehe,
die Pflicht war Freude“.

Mit und in uns allen wirst Du weiterleben!

Dein Axel

von Erik Boehlke

Liebe Katharina,
liebe Vera,
liebe Alle,
die Sie heute hier versammelt sind, um in diesem offiziellen Rahmen von Manfred Heuser Abschied zu nehmen,

Hartmann, Du hast als sehr langjähriger Freund gerade Abschiedsworte gesprochen. Ich habe Manfred erst anlässlich der Jahrestagung der DGPA 1995 im Bremen kennengelernt. Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch das Gelände des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost hat er mich gefragt, ob ich nicht Mitglied der DGPA werden möchte und mir angeboten, für mich zu bürgen.

Durch seine freundliche, humorvolle, manchmal intellektuelle - nie verletzende - Ironie ist er mir rasch ein Freund geworden, mit seiner unglaublichen, umfassenden Bildung fast ein väterlicher Freund, obwohl nur genau 10 Jahre älter als ich.

Da Daniel Sollberger, der amtierende Präsident der DGPA, heute leider nicht anwesend sein kann, er ist in Gedanken bei uns, ist mir die Aufgabe zuteilgeworden, Manfreds Verdienste bei der und um die Deutschsprachige Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks zu würdigen.

Angefangen hat alles 1959, dem Gründungsjahr der Société internationale de Psychopathologie de l’Expression et d’art-thérapie, SIPE. In der Folge haben sich rasch auf nationaler Ebene Zirkel gebildet, hier in Deutschland um Ottokar Graf Wittgenstein. Weitere Größen dieser Zeit, der Österreicher Leo Navratil und der Schweizer Alfred Bader trafen sich 1965 in Freudenstadt. Im Rahmen des Colloquiums "Kunst, Sexualität und Psychopathologie" wurde die "Deutschsprachige Gesellschaft für Psychopathologie des Ausdrucks" gegründet.

Auf dem Boden der Publikationen vor und nach dem 1. Weltkrieg wie 1907 "L'Art Chez Les Fous" von dem französischen Psychiater Paul Meunier, veröffentlich unter seinem Psyeudonym Marcel Reja, 1921 "Ein Geisteskranker als Künstler / Adolf Wölfli" von dem Schweizer Psychiater Walter Morgenthaler und 1922 "Die Bildnerei der Geisteskranken" von dem Deutschen Philosophen, Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn wurde das Thema nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgegriffen.

Noch geprägt von der Nachkriegszeit, aber schon in deutlichem wirtschaftlichem Aufschwung, im Untergrund das erste Grummeln der 68er-Jahre, war das eine Glanzzeit, in der die "L'Art brut" auch in allerhöchsten Kreisen zunehmend Einzug hielt.

Prinzhorn wurde zum Namensgeber der Medaille, die Menschen erhalten, die sich in besonderer Weise um die DGPA verdient machen. Der erste Prinzhorn-Medaillen-Träger, gleich 1965, war Robert Volmat, der schon 1954 in seiner Klinik in Paris seine Patientinnen und Patienten systematisch an das Aufgreifen künstlerischer Beschäftigung heranführte.

1986 war es soweit. Manfred Heuser, der schon lange mitgewirkt hat, übernahm das Amt des Geschäftsführenden Präsidenten von Ottokar Graf Wittgenstein.

Eine wesentliche Aktivität unserer Gesellschaft, in deren etwas sperrigen Namen 1995 das Wort "Kunst" mit aufgenommen wurde, ist von Anbeginn eine jährliche Tagung mit einem bewusst weitgreifendem Leitmotiv. All diesen Tagungen folgt ein Tagungsband, der schon zur nächsten Tagung vorgelegt wird. Dies wurde über all die Jahre realisiert, bis auf 1990 und 2003. In diesen Jahren wurden die Tagungen mit denen der SIPE zusammengelegt.

Für Manfred war die SIPE von besonderer Bedeutung. An seinen Jahren an der Sorbonne lernte er perfekt Französisch, sodass es ihm ein leichtes war, mit seinem Freund Dr. Guy Roux, dem damaligen Präsidenten der SIPE, in dessen Muttersprache zu parlieren. So war es kein Zufall, dass er auch deutscher Vizepräsident dieser Societe war.

Auch zur International Cerebral Palsy Society, die wir in unserem Briefkopf tragen, pflegte er enge Kontakte. Geradezu stolz war er, dass die DGPA mit ihm – wie er es nannte – als kleine, aber feine Gesellschaft es geschafft hat, Mitglied der AWMF, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, zu werden.

2003 waren Manfred und ich gemeinsam in Athen. In diesem mediterranen Flair, bei einem leckeren Fischessen in einem schönen Garten bat er mich, doch etwas engagierter bei der DGPA mitzuwirken. Wir alle wissen, dass man Manfred nur schwer einen Wunsch abschlagen konnte. Bei der Übergabe seiner geschäftsführenden Präsidentenschaft 2008 an Professor Müller-Spahn schlug er als Leitmotiv „Schönheit" vor. Diesem Thema haben wir den Titel „Von der Schönheit einer Idee DGPA" zu danken, der jetzt die Trauerschleife ziert.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein paar persönliche Worte. So ab 2005 ist mir aufgefallen, dass mich Manfred etwas häufiger besuchte als früher. Meist holte ich ihn am Berliner Hauptbahnhof ab, und wir gingen auf dem damals noch weiten Feld am hinteren Ausgang des Bahnhofs in das Cafe Hamlet. Dort tranken wir einen Kaffee und unterhielten uns rund eine Stunde über Gott und die Welt und was es sonst noch Interessantes gab.

Als Manfred dann nach unserem Kaffeeplausch zum 3. Mal an die gleiche Adresse, Mittenwalder Straße 9, fahren wollte, wurde ich doch stutzig und machte aus meiner Neugierde keinen Hehl. So wurde ich indirekt Begleiter Eurer ersten Begegnungen, liebe Katharina. Ich habe mich gefreut, wenn er sich für weitere Berlinbesuche anmeldete.

Dann hast Du 2011 und 2012 Vorträge bei den DGPA-Jahrestagungen gehalten.

Als wesentliches Datum in dieser Geschichte ist Eure grandiose Hochzeit am 1. April 2011 in der Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale zu nennen. Unvergessen das Schattenbild.

Und am wichtigsten der 17. August 2011 . Als ich zu Deiner Geburt, liebe Vera, gratulierte, meinte Dein Vater mit einem spitzbübisch - hintergründigem Lächeln: Da habe ich mein Bestes gegeben". Er war ein später, aber glücklicher Vater.

Mit seiner Erkrankung, die er mit unglaublicher Würde, Geduld und Ergebenheit ertragen hat, konnte er dieses Glück viel zu kurz genießen.

Als ich ihn zuletzt im November vergangenen Jahres besuchte, schien er doch etwas müde, jedoch blitzte sein Humor, gemischt mit einem Schuss Ironie noch immer auf. Bei unserem letzten Telefonat Ende Mai konnte er eindeutig formulieren, dass er jetzt nicht mehr weiter möchte.

Lieber Manfred, Du bist an Deinem Ziel angekommen!
Ich wünsche Dir bei Deiner letzten Reise, dass Du zufrieden mit der Dir eigenen Art lächelst, wenn EINS UND ALLES vereint sein wird.