54. Jahrestagung
der Deutschsprachigen Gesellschaft für Kunst & Psychopathologie des Ausdrucks e.V.
SAVE THE DATE !
Die Bildgebung hat in der Medizin einen zentralen Stellenwert. Wir denken dabei an die vielfältigen Entwicklungen seit Erfindung der Röntgentechnik mit den modernen bildgebenden Verfahren der Computertomografie, der Magnetresonanztomografie, auch in ihrer Darstellung funktioneller Prozesse (fMRT), der Positronenemissionstomografie, der Ultraschallbildgebungen und vieler weiterer Techniken und Anwendungen. Auch in der Psychiatrie haben diese Verfahren eine zunehmende Bedeutung in der Untersuchung hirnstruktureller und -funktioneller Bildgebung erhalten.
Bei all diesen Techniken stehen im Hintergrund der produzierten und sichtbar gemachten Bilder komplexe Berechnungen von gemessenen Rohdaten, das heisst Prozesse, in denen Messdaten in Bilder übertragen werden. Ähnlich wie bei der Fotografie könnten wir davon ausgehen, dass damit eine Realität abgebildet wird, das heisst durch ein «Objektiv», die Welt so dargestellt wird, wie sie ist. Allerdings ist uns aus der Semiotik bekannt, dass jedes Bild auch als Zeichen gelesen werden kann und muss. Als «Bildzeichen» findet es dabei Eingang in eine trianguläre Struktur, wonach das bezeichnende Zeichen (Signifikant) auf ein bezeichnetes Objekt (Signifikat) verweist und dieses Verweisverhältnis einem (konventionellen oder algorithmisch berechneten) Code unterliegt, einem Interpretanten, wie Charles Sanders Peirce dieses, beiden unterliegende Zeichensystem benannt hat. Auch dieser Interpretant ist als Zeichensystem seinerseits interpretationsbedürftig, so dass sich zeichentheoretisch ein unabschliessbarer Prozess, eine sogenannte Semiose ergibt. Kunsthistorisch spricht man von einer «ikonischen Differenz» (Boehm), wonach am «Material» des Bildes selbst der Bildcharakter erkennbar ist.
Wie steht nun die Annahme der Visualisierung einer gegebenen Realität in «objektiver Darstellung» im Verhältnis zu den interpretationsbedürftigen Bildgebungen, die gelesen, d.h. mit Bedeutung versehen werden und also einen interpretativen Spielraum offenlassen. In der Psychiatrie haben wir es mit verschiedenen Codes zu tun, einem physiologischen, d.h. nach Erklärungen gemäss Naturgesetzen operierenden Zeichensystem, und einem psychologischen Code, der in den gemäss einer Logik von Bedeutung und Verstehen verfahrenden Wissenschaften zum Zuge kommt. So stellt sich hier in besonderem Mass die Frage, was denn in den «Hirnbildern» zu sehen ist – die Angst des untersuchten Probanden, dessen Amygdalae im Bild farbig leuchten als «Folge» oder besser Korrelat einer bildnerisch dargestellten Hyperraktivität dieser Hirnstruktur etwa bei der Präsentation aversiver Gesichter? Wie ist diese Korrelation zu verstehen? Wird Angst «abgebildet»?
Auf der anderen Seite einer «Bildgebung» in der Psychiatrie sind uns die künstlerischen Ausdrucksweisen von psychisch kranken Menschen in vielfältigsten Formen bekannt, die wir als Ausdruck einer subjektiven Erlebensweise und -darstellung «lesen». Die Bilder bringen etwas zum Ausdruck und es kommt in ihnen etwas zum Ausdruck, nicht eine objektive Welt, sondern gewissermassen die «Objektivität» einer sachgerecht dargestellten Subjektivität. Sie ist in der Psychiatrie von grosser Bedeutung, da wir in dieser Disziplin, wo es um Gefühle, Denken, Willen, Erleben und Empfinden geht, nicht um die Erst-Person-Perspektive herumkommen, um ein umfassendes Verständnis psychischer Störung bzw. Krankheit annäherungsweise zu erhalten.
Schliesslich kennen wir auch eine Bildgebung, wie sie uns in Fotografien und Filmen vertraut ist, in welchen Bilder von psychisch Kranken geprägt werden und ein allgemeines, gesellschaftliches Bewusstsein entsteht. Auch hier kann man sich fragen, was eigentlich abgebildet wird. Sind es Bilder der Hysterie, des Leidens, der Krankheit, die uns Chargot in seinen berühmten Fotografien hysterischer Anfälle von Frauen in der Salpêtrière zeigt oder nicht vielmehr Abbild des objektalisierenden, ärztlichen Blicks durch das Kameraobjektiv auf ein «in Szene gesetztes» Leiden. Und denkt man daran, dass gerade bei der Hysterie die Inszenierung einen Kern der Krankheit trifft, könnte man sich fragen, ob in der «objektiven» Bildgebung nicht gerade eine Realität nicht eigentlich abgebildet, sondern vielmehr verstellt wird. Es wird dann die Verstrickung von Authentizität und Inszenierung deutlich, von männlich-ärztlichem Voyeurismus und weiblicher Inszenierung. Die Fotos beglaubigen und verfälschen Realität, d.h. bilden nicht einfach ab, sondern schaffen eine neue Realität, geben ein Bild und übertragen eine Zugabe von woanders.
Die Jahrestagung der DGPA widmet sich diesem breiten und komplexen Thema der Bildgebung, der Frage, was visualisiert wird und wie Parallelen bei aller Differenz zwischen objektiver Bildgebung und subjektiven künstlerischen Ausdrucksweisen bedacht, theoretisch plausibilisiert und in der «Anwendung» kritisch reflektiert werden können.
Daniel Sollberger
Geschäftsführender Präsident